Papang Hidayat

Papang Hidayat ist ein unabhängiger Menschenrechtsberater und -forscher in Jakarta. Seinen Master-Abschluss in Human Rights Theory and Practice hat er an der Universität Essex (UK) absolviert. Als Menschenrechtsexperte hat er viele Jahre bei Amnesty International und der Kommission für Verschwundene Personen und Opfern von Gewalt (KontraS) gearbeitet. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf Forschung zu Menschenrechten, Demokratie und der Umgestaltung des Sicherheitssektors in der Region Indonesien und Timor-Leste.

Interview: Mona Behnke, Ronja Eberle

Übersetzung: Mona Behnke

1. Was ist Ihre erste Erinnerung in Verbindung zu Religion?

Religion ist obligatorisch und sehr wichtig in Indonesien. Auf dem Personalausweis (Kartu Tanda Penduduk) muss die Religion angegeben werden. Will man heiraten, will man zur Schule, will man Sozialhilfe, will man später beerdigt werden, überall wird unsere Religion erfragt.

2. Wann sind Sie das erste Mal mit anderen Religionen in Berührung gekommen?

Während meiner Kindheit bis zu meinem fünften Lebensjahr, haben meine Eltern mich keine spezifische Religion gelehrt. Aber als ich im Alter von fünf in die Vorschule gehen sollte, ist meine Mutter plötzlich zum Katholizismus konvertiert und ich wurde Katholik, sodass ich eine katholische Vorschule (einer Privatschule) besuchen konnte.

3. Was bedeutet Ihnen Religion?

Für mich persönlich ist sie nicht besonders wichtig, aber in Indonesien, wo Religion im Moment in jedem Bereich zu einer Angelegenheit gemacht wird, kann ich nicht immer offen sagen, dass Religion nicht bedeutend ist.

4. Ist religiöse Bildung hilfreich für die Demokratie?

Es ist schwer, das zu generalisieren; ich habe hier unterschiedliche Einschätzungen. Es kann hilfreich, aber auch destruktiv sein. Ich sehe, dass religiöse Bildung die Demokratie unterstützen kann, etwa an religiösen Schulen oder Universitäten, welche Student*innen demokratische Prinzipien unterrichten. Auf der anderen Seite gibt es viele Schulen und Universitäten mit einer religiösen Identität, welche Inhalte unterrichten, die anti-demokratisch und gegen Menschenrechte sind.

5. Was ist politische Bildung Ihrer Meinung nach?

Bildung, die integrative Werte von öffentlichem Interesse priorisiert.  

6. Ist politische Bildung wichtig für die Demokratie?

Sie ist sehr wichtig, zumindest lehrt politische Bildung soziale Gleichheit für alle Menschen, unabhängig vom religiösen Status eines jeden Einzelnen.

7. Wie definieren Sie die indonesische Demokratie? Ist sie einzigartig, oder lässt sie sich mit anderen Demokratien vergleichen?

Als erstes zeichnet sich die Demokratie in Indonesien dadurch aus, dass reguläre Wahlen stattfinden, dass das Viel-Parteien-Gesetz Anwendung findet, man eine Gewaltenteilung innerhalb der Institutionen hat, und es eine öffentliche Beteiligung an der Regierung gibt. Das unterscheidet sich sehr von der Militärdiktatur der Neuen Ordnung (1966-1998). Ein wichtiger Grundstein in solch einer Demokratie ist die Gleichberechtigung von jedem Individuum, unabhängig von religiöser Identität, Ethnizität, oder sozialem Status, was bis jetzt in Indonesien noch nicht verwirklicht wird. Personen mit bestimmten Attributen – so die Zugehörigkeit zu der Mehrheitsreligion, (familiäre) Verbindungen zu wichtigen Personen/alten Politiker*innen, Mitglieder religiöser Organisationen, religiöse Führungspersonen, oder Mitglieder des Militärs – können in der politischen Welt Indonesiens weit mehr Kapital haben als normale Personen. Ich denke, dass sich das demokratische Modell nicht sehr von jenen anderer Länder unterscheidet, die erst in den letzten Jahren eine Demokratie wurden.

8. Ist Religion in die Indonesische Identität eingeschrieben? Wenn ja, auf welche Weise?

Wie oben erwähnt, gibt es auf dem Personalausweis (KTP) eine spezifische Kategorie dafür, und in diversen Dokumenten des Öffentlichen Dienstes müssen Leute ihre Religion angeben.

9. Welche Entwicklungen haben Sie in den letzten zwei Jahrzehnten seit Beginn der Reformation beobachtet?

Welche Entwicklung beschäftigt oder beunruhigt Sie? Generell hat die Reformation seit Mai 1998 viele Fortschritte für die Demokratie und die Achtung und den Schutz der Menschenrechte gebracht. Seit der Reformation 1998 haben jedoch auch Gruppen zugenommen, die auf der Grundlage einer engen Religionsauslegung für ihre politischen Ziele kämpfen und zudem erfolgreich zu Amtsträgern oder zu Bürgerwehren werden, die andere religiöse Minderheiten angreifen. Leider gewinnen sie an Einfluss, weil sie von vielen Menschen unterstützt werden, die ebenfalls der Meinung sind, dass Religion in öffentlichen Angelegenheiten – von der Politik über die Gesellschaft bis hin zur Wirtschaft – eine wichtige Rolle spielen sollte. 

10. Adressieren oder konfrontieren Sie diese Schwierigkeiten? Wenn ja, warum und wie?

Ich bin seit 1998 im Kampf für  Menschenrechte und Kampagnenarbeit in einer Menschenrechtsorganisation engagiert, und habe mich intensiv mit diesem Problem befasst.

11. Was sind die größten Herausforderungen in Ihrer Arbeit?

Ein Problem ist die wachsende Anzahl an intoleranten Personen. Da unsere Arbeit Menschen dazu ermutigen möchte, tolerant zu werden, sind wir immer einen Schritt hinter der Bildung und den Kampagnen intoleranter Gruppen.

12. Warum ist eine aktive Beteiligung an der politischen Bildung wichtig? Was sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Aspekte, die damit verbunden sind?

Die Transformation des Bewusstseins ist grundlegend, oder das Fundament eines gesellschaftlichen Wandels. Die drei wichtigsten Aspekte sind: Zivile Bildung muss eine klare Zielgruppe haben (Jugendgruppen), innovative Methoden (Lernen am Ort des Geschehens und nicht nur im Klassenzimmer) und es sollte ein Koordinationsnetzwerk zwischen politischen Bildungsinitiativen geben.

13. Können Sie einen unvergesslichen Moment aus Ihrer Arbeit teilen, der Sie motiviert?

Als ich bei KontraS arbeitete  (2004-2012), habe ich 2009 einen Intensivlernkurs (3 Wochen) für Studierende ins Leben gerufen, wobei Teilnehmer*innen von Aceh bis Papua kamen, welche gender-gerecht vertreten waren, und von unterschiedlichen Glaubensrichtungen und Religionen kamen (inklusive Atheist*innen). Bereits das 3-wöchige Programm zeigt außergewöhnliche Wirkung. Einige der Alumni sind heute Menschenrechtsverteidiger*innen, und das Programm besteht bis heute bei KontraS.