Fanny Syariful Alam

Fanny Syariful Alam ist ein ehemaliger Mitarbeiter von PeaceGeneration Indonesia und Regionalkoordinator einer noch jungen Gemeinschaft von Friedensaktivist*innen in Bandung, Indonesien. Seine Arbeit konzentriert sich auf menschenrechtsbasierte Friedensansätze für junge Erwachsene.

Interview: Mona Behnke, Ronja Eberle

Übersetzung: Mona Behnke

1. Was ist Ihre erste Erinnerung in Verbindung zu Religion?

Meine ersten Assoziationen zu Religion sind Rituale, Feiertage, Gebetshäuser, und die sechs offiziell von der indonesischen Regierung anerkannten Religionen, die wir damals in Staatsbürgerkunde in der Schule gelernt haben. Darüber hinaus habe ich Religion in der Schule als Unterrichtsfach gehabt.

2. Wann sind Sie das erste Mal mit anderen Religionen in Berührung gekommen?

Seitdem ich ein kleines Kind war, bin ich mit Verwandten und Personen aufgewachsen, die einen anderen Glauben haben. Außerdem habe ich einige Nachbar*innen, Klassenkamerad*innen, und Arbeitskolleg*innen, die unterschiedlichen Religionen und Glaubensrichtungen angehören. Die Situation hat sich intensiviert als ich 2013 einer Interreligiösen Community in Bandung beigetreten bin und seitdem verschiedene Auslebungen kennengelernt habe. Sie gehen über den Rahmen der sechs offiziell anerkannten Religionen in diesem Land hinaus.

3. Was bedeutet Religion für Sie?

Früher habe ich Religion als eine Verpflichtung gesehen. Personen, die religiösen Verpflichtungen wie Gebeten oder anderen religiösen Ritualen demnach nicht nachkommen, werden bestraft. Demnach gäbe es Belohnungen und Bestrafungen, wie Himmel und Hölle und verschiedene Stadien, die „bestimmen“, wohin eine Person im Jenseits gehen würde  wie eine „Prüfung“ durch Gott. Aktuell sehe ich Religion eher als System des sozialen Leben. Religion kann als Rechts- und Bildungssystem dienen, wie auch als Norm in den Familien und in der Nachbarschaft oder sogar im Regierungssystem.

4. Trägt Religionsunterricht zur Demokratie bei?

Ich kann nur schwer einschätzen, ob religiöse Bildung zur Verbesserung von Demokratie beitragen kann. Es hängt wirklich von der Situation ab, in der ein Land ausgewählte religiöse Prinzipien anwendet und, ob es die Tendenz hat, den Glauben einen Gruppe als die einzige Wahrheit in einer pluralen Gesellschaft zu propagieren, oder sogar anderen Religionen respektlos gegenüber auftritt. Diese Situation könnte dazu führen, dass jede Bildungseinrichtung ihre eigenen  Prinzipien lehrt. Ich glaube, wenn Religionsunterricht dazu führt, dass man tolerant ist, sowie Akzeptanz und Respekt für unterschiedliche Gruppen innerhalb der Gesellschaft entwickelt, ist religiöse Bildung ein Start zur Verbesserung der Demokratie. 

5. Was ist politische Bildung ihrer Meinung nach?

Politische Bildung ist ein Mittel, um eine lebendige Demokratie in der Gesellschaft und der Nation zu entwickeln und zu erhalten. Darüber hinaus vermittelt sie Informationen und Erfahrungen, die die Gesellschaft befähigen, sich stärker am demokratischen System zu beteiligen, um eine gute Regierungsführung zu entwickeln.

6. Ist politische Bildung wichtig für die Demokratie?

Politische Bildung ist eine Stütze, um eine lebendige Demokratie in der Gesellschaft und in der Nation zu entwickeln und zu erhalten. Politische Bildung ist auf jeden Fall wichtig für den Erhalt der Demokratie, da hier das Engagement der Gesellschaft einbezogen wird und unterschiedliche soziale Themen vereint werden. Es erlaubt Bürger*innen ihre Stimme zu erheben, wenn es Ungerechtigkeiten gibt oder wenn bestimmte Gruppen aufgrund von Unterschieden ungerecht behandelt werden.

7. Wie definieren Sie die indonesische Demokratie?

Die indonesische Demokratie hat sich in mehreren Phasen entwickelt. Es begann mit der ersten Parlamentarischen Demokratie von 1945-1948, wurde weitergeführt in der Gelenkten Demokratie unter dem ersten Präsidenten Soekarno, zwischen 1959 und 1966. Danach folgten die sogenannte Pancasila Demokratie unter der Führung des zweiten Präsidenten, Soeharto, von 1966 bis 1998, und schließlich die Reformdemokratie, die von 1998 bis heute andauert. Die Demokratie in Indonesien hat eine relativ lange Geschichte. Die Pancasila Demokratie prägt das Land seit langer Zeit. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Pancasila, den fünf philosophischen Prinzipien des Staats, inklusive des Grundverständnisses, dass es nur einen Gott gibt. Darüber hinaus beruht sie auf dem Prinzip der inneren Weisheit in der Einstimmigkeit, die sich aus den Beratungen der Repräsentant*innen ergibt, die die gesamte indonesische Gesellschaft vereinen und die soziale Gerechtigkeit für alle umfasst (Notosusanto, Nugroho). Das Prinzip der Demokratie wurde in der Reformdemokratie 1998 unter der Führung von Präsident B.J. Habibie transformiert, indem mehrere Prinzipien hinzugefügt wurden, darunter Pressefreiheit, ein Mehrparteiensystem, demokratischere Parlamentswahlen, Dezentralisierung der Zentralregierung, offenere politische Rekrutierungen, und die Verwirklichung der Grundrechte der  Bürger*innen.

a. Ist Demokratie in Indonesien einzigartig, oder lässt sie sich mit anderen Demokratien vergleichen?

Ich denke, die indonesische Demokratie ähnelt denen anderer Länder, was die Umsetzung von Menschenrechtsprinzipien sowie die Offenheit, Transparenz und den Schutz von Freiheitsrechten für Bürger*innen angeht. Der Unterschied liegt in den indonesischen Werten, die in den fünf Prinzipien des Staates repräsentiert sind, und sie mit anderen Aspekten wie Freiheitsrechten für die indonesische Bevölkerung kombinieren.

8. Ist Religion in die Indonesische Identität reingeschrieben?

Wenn ja, auf welche Weise? Heutzutage ist es üblich, die Religionszugehörigkeit auf dem indonesischen Personalausweis zu dokumentieren, obwohl es erst 1967 unter der Ära Soeharto begann. Damals sollten dadurch die kommunistischen Prinzipien und Bewegungen unterdrückt werden. Personen, die der kommunistischen Partei oder ihrer Bewegung beitraten, trugen das Stigma Atheist*innen oder nicht-religiös zu sein. Die Dokumentation der religiösen Identität diente dazu, die damaligen sozialen Verhältnisse zu überwachen, und ist bis heute normalisiert. Alle Informationen zur Identität, die in dem Familienregistrationszertifikat und dem Pass eingetragen sind, beinhalten die Religionszugehörigkeit.

9. Welche Entwicklungen haben Sie in den letzten zwei Jahrzehnten seit der Reformation beobachtet?

Die Reformasi Ära lässt mehr Demokratie zu als unter Soeharto. Menschen haben mehr Mut sich zu äußern, die Medien greifen mehr Themen auf als erwartet. Es gibt mehr Offenheit und demokratische Bewegungen in den Bereichen Politik, Soziales, Kultur, und Wirtschaft. Sie alle sichern das Recht auf Freiheit für Indonesier*innen.

a. Welche Entwicklung beschäftigt oder beunruhigt Sie?

Die oben genannte Situation bringt Indonesien bessere Lebensbedingungen, für das Land aber auch seine Bürger*innen. Neben der Verbesserung in Indonesien bringt zu viel Freiheit in der Meinungsäußerung auch neue Probleme, da sie zur Unterdrückung von anderen Gruppen, vor allem Minoritäten führt. Ja, es ist gut, sich gegen jede Art von Unterdrückung zu wehren. Nichtsdestotrotz, wenn diese Meinungsäußerungen zu erneuter Unterdrückung von Minderheiten unter dem Banner  der Meinungsfreiheit führt, ist das auch falsch. Leider lässt ein Teil des Indonesischen Regierungsapparates das einfach geschehen. Zum Beispiel die Errichtung eines gemeinsamen Erlasses von drei Ministerien: Ministerium für Inneres, Ministerium für Religion, und des Generalstaatsanwaltes No 3/2008 hat dazu geführt, dass indonesische Ahmadi-Anhänger*innen in Bezug auf ihre Lehrgrundsätze, in der Öffentlichkeit und beim Bau ihrer Gebetshäuser reguliert und eingeschränkt werden.

10. Adressieren oder konfrontieren Sie diese Schwierigkeiten? Wenn ja, warum und wie?

Ich arbeite thematisch zu Minderheiten in meiner Stadt, z.B. basierend auf Religion, Gender und auch Wirtschaft. Zusammen mit meinen Partner*innen organisiere ich wöchentliche Diskussionsrunden zu den oben genannten Themen für Jugendliche. Warum Jugendliche? Sie sind die nächste Generation, und mein Partner*innen und ich finden es wichtig, sie mit Wissen zu Friedensprozessen basierend auf der Perspektive von Menschenrechten auszustatten und zu bestärken. Sie sind sehr enthusiastisch und leidenschaftlich, wenn sie uns beitreten. Bei den regelmäßigen Treffen ermutigen wir sie, ihre eigene Meinung medial Kund zu tun und auch selbst als Initiator*innen auf die Situation von Minderheiten in ihrer eigenen Community oder Gruppe aufmerksam zu machen. Wie können wir das Vertrauen der Jugendlichen gewinnen, um unser Programm aufrechtzuerhalten? Wir werden durch vertrauenswürdige Schlüsselpersonen in diesem Bereich unterstützt, so Glaubensanhänger*innen, Akademiker*innen, den Communities, und sogar jungen Gesetzgeber*innen. Wir arbeiten und kämpfen nun schon das dritte Jahr für diese Themen.

11. Was sind die größten Herausforderungen in Ihrer Arbeit?

Ich habe festgestellt, dass es wichtig ist, die Rolle der Regierung anzuerkennen, um unsere Arbeit durchzuführen. Obwohl sie unsere regelmäßigen Diskussionsthemen ablehnen und wir Unstimmigkeiten haben, versuche ich die Regierung einzubeziehen. Sie sind der Schlüssel zur politischen Ermächtigung der Gesellschaft, insbesondere der Jugend. Auf der einen Seite fällt es mir schwer, sie [die Regierung] in mein Programm einzubeziehen, und ich merke, wie konträr unsere Themen für sie sind. Auf der anderen Seite kann ich verstehen, warum sie es ablehnen, sich hier einzubringen, da die meisten regionalen/lokalen Gesetze das Dasein spezifischer Minoritäten nicht unterstützen, wie Shia, Ahmadi, Christ*innen, und LGBT Gruppen.

12. Was sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Aspekte, die damit verbunden sind?

Aktive Teilhabe in der politischen Bildung ist wichtig für die Gesellschaft, weil: a. sie den Demokratisierungsprozess unterstützt, b. sie die Gesellschaft ermutigt, sich offen an der Demokratie zu beteiligen, c. sie die Umsetzung von gesellschaftlichen Rechten und Freiheit sicherstellt.

13. Können Sie einen unvergesslichen Moment aus Ihrer Arbeit teilen, der Sie motiviert hat?

Ich erinnere mich, dass ich Vertreter*innen von Ahmadi und Shia in unsere Jugendgruppe eingeladen habe, in der die meisten Teilnehmer*innen dem sunnitischen Islam und dem Christentum angehören. In gemischten Gruppen haben sie den Redner*innen alle möglichen Fragen gestellt, beginnend mit Behauptungen zu Unstimmigkeiten, bis hin zu den Anfeindungen, dass beide Konfessionen nicht als Islam klassifiziert sind. Die Redner*innen haben die Fragen mit ihrem eigenen Wissen/Erfahrungen beantwortet. Ziel war es, den Jugendlichen direkte und gelebte Wahrheiten von Ahmadi- und Shia-Anhänger*innen zu bieten, denen vertraut werden kann. Dieses Wissen steht im Kontrast zu Informationen, die die Jugendlichen durch Online-Ressourcen erhalten.