Ausstellung

Religion in einer Pluralen Gesellschaft: Indonesische Perspektiven

Text: Claudia Seise

Die Idee für die virtuelle Ausstellung kam spontan während eines Treffens mit Dr. Saskia Schäfer, Dr. Thomas Stodulka und Prof. Mohammad Gharaibeh, um das Projekt „Democracy and Interreligious Initiatives“, gefördert aus Mitteln der Berliner University Alliance, zu besprechen. Covid 19 (Corona) hatte – wie bei vielen anderen Projekten – die Mitglieder unserer Projektgruppe gezwungen, neue, alternative und vor allem kreative Wege zu gehen, um dem Projekt trotz der neuen, begrenzenden Umstände Leben einzuhauchen und interessante Ergebnisse vorzulegen. Da kam die Idee für eine virtuelle Ausstellung. Ich habe mich mit moderner indonesischer Kunst seit meinem Studienaufenthalt in Yogyakarta, Java 2005/6 beschäftigt und 2008/9 eine unabhängige Feldforschung zu zeitgenössischer indonesischer Kunst in Yogyakarta durchgeführt. Die Ergebnisse erschienen in dem Buch: One Year on the Scene: Contemporary Art in Indonesia (2010). In meiner weiteren Forschungstätigkeit habe ich mich dann mehr und mehr dem Islam in Indonesien zugewandt. Die virtuelle Ausstellung „Religion in einer Pluralen Gesellschaft: Indonesische Perspektiven“ bringt jetzt diese Forschungsinteressen zusammen: Kunst und Religion, Kunst und Spiritualität, Kunst und Islam.

Die Kunstwerke von 14 Künstler:innen mit unterschiedlichen geographischen, religiösen und künstlerischen Hintergründen werden in dieser Ausstellung gezeigt. Bei der Auswahl der Künstler:innen versuchte ich die elementare Wichtigkeit von Diversität im indonesischen Archipel zu reflektieren. Von 14 Künstler:innen sind vier Frauen. Häufig werden in Indonesien Männer Künstler und Frauen studieren eher selten Kunst. Von den 14 Künstler:innen sind die Mehrheit muslimisch geprägt, was die Gesellschaft Indonesiens widerspiegelt. Vier Künstler:innen sind entweder evangelisch oder hinduistisch geprägt oder folgen einem javanischen Glaubenssystem. Die Künstler:innen stammen aus Java, Sumatra, Bali, Kalimantan und Sulawesi. Neben Malerei zeigt die Ausstellung auch Grafiken, Glasmalerei und Skulptur.

Mit dieser virtuellen Ausstellung hoffe ich, einen kreativen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation zu leisten, der sich nicht auf die zusammenfassenden Erläuterungen wissenschaftlicher Ergebnisse beschränkt, sondern aktives Zuhören und Zuschauen übt. Die Forschung zu interreligiösen Initiativen in Indonesien wird um eine künstlerische Perspektive ergänzt und erweitert somit die Expertise über Interreligiöses Engagement und Demokratieverständnis in Verbindung mit Religion. Die Überschreitung sprachlicher Grenzen durch visuelle Kunst bietet die Möglichkeit neuer Brücken und Kommunikationskanäle. In diesem Sinne kann die Ausstellung „Religion in einer Pluralen Gesellschaft“ auch als ein Forschungsinstrument verstanden werden. Ich bedanke mich bei der Berlin University Alliance und Dr. Saskia Schäfer für die Möglichkeit, diese virtuelle Ausstellung organisieren und kuratieren zu dürfen. Mein ganz besonderer Dank geht an die 14 Künstler:innen, die ihre Zeit und kreative Energie für diese Projekt eingesetzt haben. Terimakasih banyak!

Indonesien

Indonesien ist ein Inselstaat in Südostasien, begrenzt durch den Indischen Ozean im Westen und den Pazifischen Ozean im Osten, liegt es auf dem Ring des Feuers (dem Pazifischen Feuergürtel) und hat eine der höchsten vulkanischen und tektonischen Aktivitäten weltweit. Das Land erstreckt sich vom nördlichsten Zipfel in Sumatra, Aceh, bis nach West Papua und umfasst mehr als 17.000 bewohnte und unbewohnte Inseln. Indonesien ist Heimat von einer großen Vielzahl an ethnischen, religiösen, kulturellen und sprachlichen Gruppen und besteht als Nationalstaat seit dem 17. August 1945. Es vereint die genannte Vielfalt in dem Nationalen Motto Bhinekka Tunggal Ika, Einheit in Vielfalt, unter der Staatsideologie Pancasila.[1] Die erste Säule der Pancasila ist der Glaube in den Einen Gott. Die große Mehrheit der Indonesier:innen gibt an, dem Islam anzugehören, doch können auch Christen, Katholiken, Hindus, Buddhisten, Anhänger des Konfuzianismus und lokaler Glaubenssysteme (Ind.: kerpercayaan) ihren Glauben leben. In einigen Gegenden Indonesiens stellen verschiedene Religionen, auf nationaler Ebene als Minderheiten wahrgenommen, die Mehrheit. So zum Beispiel in Bali, wo die meisten Bewohner:innen dem Balinesischen Hinduismus angehören. Der Bezug zur Indonesischen Nationalideologie wird auch in den Kunstwerken einiger Künstler:innen dieser Ausstellung hergestellt und als wichtiger Anker für eine nationale Harmonie und religiöse Toleranz verstanden. So beschreibt zum Beispiel die Künstlerin Budiasih in ihrem Konzept zu ihrem Werk „Baum des Lebens“, die Pancasila als ein Gefäß, das zu einem Mittel wird, um Religionen und Glaubensformen in Indonesien zu verbinden, um so das ideale Zusammenleben zu erreichen. Auch der Grafikkünstler Syahrizal Pahlevi bezieht sich in seiner Arbeit „6+1 ID Card“ auf die Pancasila, deren erste Säule, der Glauben an den einen Gott, de facto festlegt, dass alle Indonesier:innen auf ihrem Ausweis ihre Glaubenszugehörigkeit angeben müssen. Daraus ergibt sich, so der Künstler, dass die Religionszugehörigkeit eines jeden Bürgers/ einer jeden Bürgerin öffentlich bekannt gemacht werden muss. Diese Veröffentlichung, so der Künstler, kann auch zu Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit führen. Der Künstler Robert Nasrullah verbindet seine Arbeit „Ta’aruf: Kennenlernen“ ebenfalls mit der Pancasila und sieht diese als notwendiges Dach, unter diesem alle Religionen und Glaubenssysteme Indonesien staatlichen Schutz genießen.

Religion, Glaube und Spiritualität sind tiefgreifende Elemente des Indonesischen Lebens. Das Gebet, Verbindungen zur unsichtbaren Welt, spirituelle Praxis und ein tiefverwurzelter Glaube sind ein elementarer Bestandteil des Lebens einer großen Anzahl Indonesier:innen. Gleichzeitig wird traditionell die Zugehörigkeit zu einer Religion oder einem Glaubenssystem als Voraussetzung gesehen, die Tugenden der Toleranz und der Achtung vor Andersgläubigen zu erlernen, um so Teil eines harmonischen Miteinanders zu werden. Es kann gesagt werden, dass die geographische Lage des Archipels zu Offenheit und Toleranz gegenüber neuen und andersartigen Ideen beigetragen hat. An der maritimen Seidenstraße gelegen, befindet sich das heutige Indonesien an historisch gewachsenen Handelsrouten, die das Inselreich mit der arabischen Welt, Afrika, Europa und möglicherweise sogar mit Südamerika verbanden. Der Künstler Sindu Siwikan schreibt im Konzept zu seiner Skulptur „Dialog“, dass seiner Meinung nach, die geographische Lage dazu beiträgt, dass Indonesier:innen generell sehr neugierig und offen gegenüber anderen Menschen sind. Und Er sieht Toleranz gegenüber religiöser Praxis und Pluralität in Herkunft, Religion und Sprache als daraus resultierendes Ergebnis, das tief in der indonesischen Gesellschaft verankert ist. Dass es trotz dieser von mehreren Künstler:innen erwähnten Toleranz auch Konflikte und, wie Syahrizal Pahlevi erwähnt, Diskriminierung in der Indonesischen Gesellschaft gibt, negiert nicht das innewohnende Streben nach Harmonie (Ind.: kerukunan), das nicht nur durch die Pancasila und der Anerkennung jeglichen Glaubens, der zu dem Einen Gott führt, zum Ausdruck kommt. Es ist das tief verwurzelte Streben nach Harmonie, dass es erst möglich gemacht hat, dass neue Ideen, Glaubenssysteme und Religionen in die Gesellschaften des Archipels Einlass erhielten und dann an die lokalen Begebenheiten, Traditionen und Vorstellungen angepasst wurden. In dieser Hinsicht, sind die Menschen Indonesiens sehr rezeptiv, jedoch dabei äußerst darauf bedacht, ihre kulturelle, spirituelle und religiöse Ungebundenheit, Unabhängigkeit und Authentizität zu bewahren.

Religion im Öffentlichen Raum

Seit meinem Studienaufenthalt in 2005/6 habe ich insgesamt mehr als fünf Jahre in Indonesien gelebt, geforscht und gearbeitet. Dabei ist mir eine Sache sehr deutlich geworden: Religion, Glaube und Spiritualität in vielen Facetten sind ein wichtiger, integrativer und nicht wegzudenkender Teil der indonesischen Gesellschaft. Dieser öffentlich gelebte Glaube ist in keiner Weise homogen, auch wenn der Islam in vielen Teilen Indonesiens die Mehrheitsreligion stellt. Denn auch der Islam ist in Indonesien nicht homogen. Die Künstlerin Rina Kurniyati möchte in ihrem Werk „Zwielicht am Hafen“ die Vielfalt der Kulturen, Religionen und des profanen Lebens in Indonesien artikulieren. 15 separate Glasgemälde, die verschiedene Autotypen in verschiedenen Farbtönen zeigen, ergeben zusammen ein Gesamtkunstwerk. Jedes einzelne Bild kann für sich betrachtet werden und ist ein in sich stimmiges Werk. Doch können auch alle 15 Bilder mit allen 15 Autotypen zusammen als ein Kunstwerk betrachtet werden. Ein Kunstwerk, das durch die Vielfalt und das Farbenspiel überzeugt und in dem jedes einzelne Auto zu einem Gesamtkunstwerk verschmilzt. Die Symbolik ist tiefgründig und doch so einfach. Rina schreibt in ihrem Konzept: „Letztendlich zeigt meine Arbeit, dass es auf das Endergebnis ankommt: eine Zeit, in der alle zusammenkommen, um sich gegenseitig zu respektieren. Jedes Element der Gesellschaft zeigt und lebt dennoch seine Einzigartigkeit, denn die eigentliche Essenz gegenseitigen Respekts ist das Vorhandensein von Unterschieden und die Schönheit der unterschiedlichen Farben.“ Der Künstler Robert Nasrullah beschreibt dieses Phänomen mit einer anderen Analogie, nämlich der der weißen Leinwand, die mit verschiedenen Farben bemalt wird. Durch unterschiedliche Farben, so der Künstler, kann ein schönes und bedeutungsvolles Werk geschaffen werden. „Durch den künstlerischen Prozess erhalten wir indirekt die Lektion, dass unterschiedliche (religiöse und spirituelle) Überzeugungen kein Hindernis für uns darstellen, zusammenzuhalten und uns gegenseitig zu helfen“, schreibt Robert Nasrullah in seinem Konzept zu „Ta’aruf: Kennenlernen“. Auch Künstler Fika Ariestya Sultan findet eine passende Analogie für die religiöse und spirituelle Diversität in Indonesien: die Blumenwiese, die er in seinen beiden Werken darstellt. Er schreibt: „Menschen sind perfekt wie die verschiedenen Blumen auf einer Wiese. Ihre verschiedenen Größen und Blüten macht sie schön und komplementär. Pluralität ist wunderbar, wenn sie auf der Basis eines breiten Verständnisses von Liebe (Ya Rahman) und tiefer Liebe (Ya Rahim) steht.“

Gotteshäuser verschiedener Religionen befinden sich in Indonesien teilweise in naher Nachbarschaft zueinander und prägen den religiösen öffentlichen Raum. Ein interessantes Phänomen stellen hierbei unter anderem die Moscheen in traditionell-javanischer Bauweise, die in Form eines pendopo, einem Pavillion-ähnlichen Gebäude errichtet auf Säulen, ohne Minarett und Kuppel gebaut worden sind. Der pendopo ist ein elementarer Bestandteil der Javanischen Architektur und ist traditionell ein Ort für Rituale und religiöse Zeremonien, wird aber auch genutzt, um Gäste zu empfangen. Der pendopo kann sowohl alleinstehen, als auch Teil eines traditionellen Javanischen Hauses sein. Er stellt ein interessantes Beispiel dar, wie die Lokalisierung des Islam in Java im öffentlichen Raum in Form von Moscheen in traditioneller Bauweise verwirklicht worden ist. Bei vielen Moscheen findet man eine Art von pendopo. Auch das typische Javanische Spitzdach, das an Tempelbauten erinnert, ist bei vielen traditionellen Moscheen in Java, aber auch in Sumatra, z.B. in Palembang, zu finden. Interessante Beispiele dafür sind die große Moschee Mesjid Agung in Kota Gede, Yogyakarta auf der Insel Java und die Mesjid Agung in Palembang, Süd-Sumatra.

Mesjid Agung Kota Gedhe, Yogyakarta
Mesjid Agung, Palembang

Doch nicht nur Gotteshäuser, auch die Menschen selbst reflektieren Glaube und Spiritualität im öffentlichen Raum. Viele Frauen tragen Kopftücher (Ind.: jilbab) und zeigen somit bewusst und selbstbewusst ihre Zugehörigkeit zum Islam. Auch sieht man muslimische Männer die typische Kopfbedeckung, peci, tragen. Menschen christlichen Glaubens tragen häufig ein Kreuz und auch Hindus tragen religiöse Symbole, z.B. die typischen Reiskörner auf der Stirn, die nach einem traditionellen Gebet mit Wasser angedrückt werden. Bei öffentlichen Ansprachen wird versucht, mit Begrüßungsformeln religiöse Vielfalt widerzuspiegeln; z.B. wird sowohl Assalamualaikum, die islamische Begrüßung, Salam Sejahtera, die Begrüßung für Menschen Christlichen Glauben, und Om Swastiastu für Anhänger des balinesischen Hinduismus verwendet.

Der Künstler Suparman zeigt in seinem Werk in Lacktechnik die Vielfalt der unterschiedlichen Kulturen und spirituellen Strömungen in Indonesien in Form eines Kulturfestivals. Figuren mit traditionellen Masken und Kostümen tanzen gemeinsam in der Hauptstadt Jakarta. Im Hintergrund sieht man ein wichtiges Symbol der indonesischen Nation, das Nationaldenkmal (Monas), welches den Kampf um die Unabhängigkeit symbolisiert und auch als Symbol der Einheit der Indonesischen Vielfalt gelesen werden kann. Entworfen wurde das Monas Denkmal von Friedrich Silaban und R.M. Soedarsono. Rechts im Bild ist außerdem das Denkmal Dirgantara, auch bekannt als Pancoran Statue, zu sehen. Sie wurde von dem indonesischen Künstler Edhi Sunarso entworfen und 1966 fertiggestellt. Diese zweite Statue symbolisiert den technischen Fortschritt der indonesischen Nation, vor allem in Bezug auf Luft- und Raumfahrt.

Das Nationaldenkmal Monas ist ein so zentrales Symbol der Indonesischen Nation, dass es im öffentlichen Raum und im kollektiven Bewusstsein der indonesischen Bevölkerung ein Schlüsselelement darstellt, auf das sich im religiösen und nichtreligiösen Bereich immer wieder bezogen und mit persönlichen und religiösen Interpretationen aufgeladen wird. Der indonesische Künstler Askanadi zum Beispiel, der nicht an dieser Ausstellung teilnimmt, hat für sich das Nationaldenkmal als Symbol für die Religiosität der Indonesischen Bevölkerung interpretiert. Die Säule, die nach oben zeigt, steht für die vertikale Verbindung zu Gott und das rezeptive, leicht schalenartige Fundament steht für das Indonesische Volk. Egal welcher Religion oder welchem Glaubenssystem jemand angehört, sie alle sind in dem rezeptiven, horizontalen Teil des Denkmals in ihrer vertikalen Verbindung zu Gott vereint.

Askanadi //Ritual // Acryl auf Leinwand // 150 cm x 200 cm

Eine allgemein vertretene Interpretation des Denkmals, entlehnt aus der hinduistischen Tradition, ist die Symbolik des Lingga, welches kosmologisch für das männliche Element steht, und Yoni, welches für das weibliche Element steht. Aus einer islam-theologischen Perspektive kann das Monas Monument meiner Meinung nach auch als die arabischen Buchstaben Alif und Ba interpretiert werden. In der Wissenschaft der Symbolik der Arabischen Orthographie steht das Alif für den Abstieg des Göttlichen Wortes aus der Welt der Göttlichen Transzendenz. Das Ba symbolisiert das aufnehmende Element in der Welt der Menschen und in der Sprache der Menschen, welche dadurch geheiligt wird (In: The Study Qur’an; Nasr, 2015: xxxiii). Der Sockel in dem rezeptiven Element kann auch als der Punkt unter dem arabischen Buchstaben Ba verstanden werden, welches den Treffpunkt der zwei Buchstaben Alif und Ba symbolisiert. Dort, wo die vertikale Ebene, die Verbindung zu Gott, und die horizontale Ebene, die Rezeption des Gotteswortes in der Welt der Menschen, zusammenkommen. Die vertikale und horizontale Ebene in Bezug auf das Göttliche und die Erfahrung des Göttlichen in dieser Welt wird auch von einigen Künstlern in dieser Ausstellung direkt oder indirekt angesprochen.

Der Künstler Ariyadi alias Cadio Tarompo, zum Beispiel, weist auf die vertikale und horizontale Verbindung des Menschen mit dem Schöpfer und der Schöpfung und speziell der Menschen hin. Dabei erklärt er in seiner Arbeit „Hablumminallah wa Hablumminannas“ die islamische Perspektive und weist dabei auf wichtige grundlegende Dinge der islamischen Lehre hin: 1. Es gibt keinen Zwang in der Religion (Koran 2: 256) und 2. die Notwendigkeit der gegenseitigen Toleranz von verschieden-Gläubigen (Koran 109: 6). Außerdem sieht er die indonesische Staatsideologie Pancasila als eine Notwendigkeit, um die religiöse Vielfalt Indonesiens zu erhalten und zu beschützen.

Natur und Spiritualität

Die Natur in all ihrem Reichtum, ihrer Faszination und Bedrohung für das menschliche Leben nimmt in Indonesien eine spezielle Rolle ein. Vulkane, die Architekten der Welt, die den Menschen fruchtbare Erde schenken, das Meer, die Reisfelder, Flüsse und Flussläufe, Berge und Wälder und die reiche Tier- und Pflanzenwelt sind nicht nur Kulisse für das menschliche Leben, sondern spirituelle und öffentliche Räume von gelebtem Glauben. Die Liebe und Hochachtung für die Natur ist jedoch nicht mit Anbetung und einer Zuschreibung von göttlicher Kausalität gleichzusetzen. Von Orientalisten häufig fälschlicherweise als Animismus interpretiert, liegt der tiefen Verbindung mit der Natur ein tiefverwurzeltes, generationsübergreifendes Verständnis der ersten Säule der Pancasila zugrunde, dem Glauben an den Einen Gott. Die verschiedenen Bestandteile und Wesen der Natur werden vor allem in der javanischen Tradition als Geschwister (sedulur) der Menschen bezeichnet, die der Mensch respektiert und von denen er lernen kann, weil sie in der kosmologischen Realität älter sind als die Schöpfung Mensch. Der Mensch soll demnach versuchen, ein harmonisches Auskommen mit den verschiedenen Bestandteilen der Natur zu erstreben. Und da in der indonesischen und im Speziellen in der javanischen Tradition Respekt und Ehrfurcht hauptsächlich an Alter geknüpft sind, wird den älteren Geschwistern in der Natur eine besondere Behandlung zuteil. Diese sollte nicht mit Anbetung verwechselt werden. Das ‚Ankleiden‘ von großen, alten Bäumen mit Tüchern zum Beispiel ist ein Ausdruck von Respekt für das ältere Mitglied der Schöpfungsfamilie.

Das Zusammenleben und die horizontale Verbindung des Menschen mit dem Rest der Schöpfung spielt auch in dem Werk von Künstler I Wayan Legianta eine wichtige Rolle. Er erklärt, dass im balinesischen Hinduismus Gott in jedem Lebewesen durch die göttliche Seele namens Atman gegenwärtig ist. Er schreibt weiter, dass Atman als ein kleiner Funke Gottes verstanden werden kann, der jedem Lebewesen, auch dem Menschen, Leben schenkt. Deshalb, so I Wayan Legianta, ist es so wichtig, jedes Lebewesen und die Vielfalt in der Schöpfung zu achten und wertzuschätzen, denn diese Wertschätzung der Schöpfung führt zur Verherrlichung Gottes selbst. Sein Kunstwerk reflektiert diese Überlegungen. Verschiedene Farbtöne, Kerben und Schichten fügen sich harmonisch zu einem Ganzen. Das Vermischen soll die konkrete religiöse Identität verbergen und jeden Menschen nur als ‚Glaubenswesen‘ sehen. Egal welchem Glauben eine Person angehört, ein jeder strebt nach der vertikalen Verbindung mit Gott.

Auch Künstlerin Franziska Fennert reflektiert die horizontale Verbindung mit der Schöpfung in ihrem Werk „Heilung“ und die vertikale Verbindung zum Schöpfer. Mit ihrer Arbeit weist die Künstlerin auf die Verantwortung des Menschen gegenüber der Umwelt und allen anderen Geschöpfen hin. Ein jedes Element des Kosmos, so die Künstlerin, bezeugt die Existenz Gottes. Die halbrunde Form der Arbeit erinnert an ein Kirchenfenster und symbolisiert so das Göttliche. Die Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur ist auch eine spirituelle, sowohl in der traditionellen javanischen Spiritualität als auch im Islam. So wird die Spiritualität des natürlichen Raums zu einer Spiritualität des öffentlichen Raumes Natur.

Persönlicher Glaube und Spiritualität

Religion, Glaube und Spiritualität spielen vor allem auch im Leben des Einzelnen eine wichtige Rolle und reflektieren durch diese Person, ihre Taten, ihr Benehmen, ihre Interaktion, ihre Worte, etc. in die Gesellschaft hinein. So wird der öffentlichen Raum durch den einzelnen Menschen auf einer mikro-Ebene mitgestaltet. Der Künstler Anggara Tua Sitompul zum Beispiel reflektiert in seinem Kunstwerk „Selbstbeobachtung“ die Wichtigkeit Geld in einem religiös erlaubten Rahmen zu erwerben damit es auch segensvoll ist. In seinem Konzept drückt er seine Kritik in Form einer Überraschung aus, dass viele religiöse Menschen jedoch trotzdem das Geld der Bevölkerung stehlen und veruntreuen. Sein Fazit: viele Menschen sind religiös, aber nicht gläubig, weil sie zwar einer Religion angehören, aber die Lehren dieser Religion in ihrem eigenen Leben nicht umsetzen.

Auch der Künstler Rudi Maryanto reflektiert in seinem Werk „Vertikaler Knoten“ über seine eigene Religionszugehörigkeit und stellt dabei das Symbol der islamischen Gebetsrichtung – der Kaaba – ins Zentrum seiner Arbeit. Auch andere Religionen und Glaubenssysteme haben fest verwurzelte Symbole, die diese im öffentlichen Raum und kollektiven Bewusstsein symbolisieren.

Die Künstlerin Laila Tifah beschreibt den Einfluss eines jeden Individuums in der Gesellschaft in ihrer Arbeit „Nicht …“. Sie vergleicht den Menschen mit einem Eisberg, von dem nur die Spitze für alle anderen sichtbar ist. Dieser sichtbare Teil wird mit unserer Körpersprache, unserem Verhalten und unseren Handlungen und Entscheidungen gleichgesetzt. Der größte Teil des Eisberges ist unsichtbar. Dieser unsichtbare Teil bestimmt jedoch wie wir handeln, uns verhalten und Entscheidungen treffen. Das Wort ‚nicht‘ in ihrer Arbeit wird zu etwas Positiven, wenn es mit negativen Eigenschaften verbunden wird, um so die Harmonie in der Indonesischen Gesellschaft zu bewahren. Zum Beispiel, sich nicht selbstgerecht zu fühlen, andere Menschen nicht von der Anbetung abzuhalten, nicht intolerant zu sein, nicht zu unterdrücken und nicht arrogant zu sein.

Der Künstler Muhammad Andik bringt einen weiteren wichtigen Aspekt in die Diskussion um Religion und Glauben in einer pluralen Gesellschaft, nämlich die religiöse Bildung. In seinem Kunstwerk „Der Murshid (Der Spirituelle Lehrer)“ reflektiert der Künstler über die Wichtigkeit eines spirituellen Lehrers für die spirituelle Entwicklung eines Menschen aus einer islamischen Perspektive. In seinem Werk sehen wir eine traditionell gekleidete Person in einem Kreis von Schülern sitzen. Die Farbgebung, die Spitzbögen im Hintergrund und die traditionelle Sufikleidung muten mystisch an und der Beobachter fragt sich, was da wohl gelehrt und gelernt wird. In seinem Konzept schreibt Muhammad Andik: „Die Aufgabe eines Murshids besteht darin, den Salik (den Wissenssuchenden), der/die es ernst meint, Gott kennen zu lernen, das Verständnis der spirituellen Wege zu Gott zu lehren, ihn/ sie zu führen, zu erziehen und seine/ ihre Seele zu schmieden. Der Murshid führt den Salik mit Bestimmtheit und Disziplin. Dieser Weg beginnt mit dem Prozess der Reinigung/ Läuterung der Seele (tazkiyah al-nafs), bis der Salik ein tiefes Verständnis (ma’rifat) von Al-Haqq (einer der Namen Gottes) erreicht.“

Mit der Wichtigkeit von Bildung beende ich meine kurze Betrachtung zu dieser Ausstellung, auch wenn es noch so viel mehr zu sagen gäbe. Ich wünsche den Besucher:innen dieser virtuellen Ausstellung viel Freude beim Betrachten der Werke und beim Lesen der Konzepte. Meine Hoffnung ist, dass diese Ausstellung ein kleiner Beitrag zum interreligiösen Dialog und zum interreligiösen Verständnis leisten kann. Auch wenn die indonesische Gesellschaft natürlich nicht perfekt ist, so ist doch der Wunsch und das Streben nach Harmonie eine besondere Eigenschaft, die, unabhängig von der Religion oder Glaubenszugehörigkeit, kultiviert wird. Einige Künstler:innen haben in ihren Konzepten darauf hingewiesen, dass von außen ‚importierte‘ Ideen und Ideologien teilweise versuchen, das Streben nach Harmonie und die tiefverwurzelte Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen in der indonesischen Bevölkerung anzugreifen. Diese Angriffe machen es umso wichtiger, die historisch gewachsene und etablierte Toleranz und Offenheit zu bewahren, zu kultivieren, zu lehren und an die junge Generation weiterzugeben.

Claudia Seise ist promovierte Südostasienwissenschaftlerin und arbeitet zurzeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Nachwuchsforschungsgruppe “Perspektiven religiöser Vielfalt in der islamischen Theologie” am Berliner Institut für Islamische Theologie an der Humboldt Universität zu Berlin.


[1] Pancasila ist die Staatsideologie Indonesiens. Sie besteht aus fünf Prinzipien, welche in der Präambel der indonesischen Verfassung genannt werden:

  1. Der Glaube an den Einen Gott (Ketuhanan Yang Maha Esa)
  2. Gerechte und zivilisierte Menschlichkeit (Kemanusian yang adil dan beradab)
  3. Nationale Einheit Indonesiens (Persatuan Indonesia)
  4. Demokratie geleitet von der inneren Weisheit in der Einstimmigkeit, die sich aus den Beratungen der Abgeordneten ergibt (Kerakyatan yang dipimpin oleh hikmat kebijaksanaan dalam permusyawaratan/perwakilan)
  5. Soziale Gerechtigkeit für alle Menschen Indonesiens (Keadilan Sosial bagi seluruh masyarakat Indonesia)
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